Am 26. Januar 2018 lud das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem Landesbeirat für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen die Verbände und die Vereine der Aussiedler und vor allem der Spätaussiedler zum Empfang ein, zum „Tag der Neuen Heimat“. Dieses Jahr war Thema der Festivität „100 Jahre Autonomes Gebiet der Wolgadeutschen – was war, was bleibt?“ Die Veranstaltung fand in einem Saal des Ministeriums im 16. Stock über den Dächern Düsseldorfs statt und hatte beinahe eine magische Wirkung auf die Teilnehmer durch das leuchtende Stadtpanorama. Durch die Veranstaltung wurden die Besucher von Klaus Bösche, Leiter der Abteilung 5 im Ministerium für Kultur und Wissenschaft geführt, musikalisch durch den Chor „Heimatklänge“ aus Köln unterstützt und durch das Gedicht „Mein Heimatland“ von Dominik Hollmann, vorgetragen von Agnes Gossen-Giesbrecht, zum Nachdenken gebracht. Das Begrüßungswort übernahm Klaus Kaiser, parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium. In seiner Rede verwies er darauf, dass die Forschung die Aussiedler und die Spätaussiedler als die am besten integrierte Bevölkerungsgruppe ansieht. Sie sind überdurchschnittlich in Bildung, in Studium und im Beruf. Allerdings wünsche er sich, dass die Kultur und die Geschichte der Deutschen aus Russland und aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion im öffentlichen Raum wahrgenommen und ihr ein angemessener Platz eingeräumt werde. Laut Kaiser sollten Deutsche aus Russland ihrem Leistungs- und Aufstiegswillen entsprechend einen angemessenen Platz in Verwaltung, kommunalen Gremien und nicht zuletzt in der Politik anstreben. Dank ihrer musterhaften Integration und dank ihrer geschichtlichen Erfahrungen leisteten die Deutschen aus Russland einen enormen Beitrag für den Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft durch ihre ehrenamtliche Arbeit in Vereinen, die heutzutage die ersten Anlaufstellen für andere Geflüchtete sind. Anschließend stellte er den Gästen den neuen Beauftragten für die Belange der deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler, Herrn Heiko Hendriks vor, der zwar sein Amt zum 01.02.2018 aufnahm, aber diese Veranstaltung nicht verpassen konnte. In dieser neu geschaffenen Funktion soll er Ansprechpartner für viele Vereine, Verbände und gemeinnützige Organisationen der deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler auf der Landesebene sein. Darauffolgend erinnerte Prof. Dr. Dr. h. c. Victor Dönninghaus von Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa e.V. in seinem Vortrag die Teilnehmer an die wichtigsten Meilensteine der Geschichte der Deutschen aus Russland seit dem Jahr 1763, kennzeichnet durch den Einladungsmanifest von Katharina der Großen, die Gründung der ASSR der Wolgadeutschen unter den Namen „Arbeitskommune“ mit Ekaterinenstadt als Hauptstadt in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, gefolgt von massivem Widerstand der anderen Bevölkerungsgruppen in Saratow und in Samara, anschließend der Beginn der Deportation von 420.000 Deutschen aus der Wolgarepublik am 28.08.1941 und schließlich die Rehabilitierung 1994. Das war die Antwort auf einen Teil der Frage: „100 Jahre Autonomes Gebiet der Wolgadeutschen – was war?“ Auf den anderen Teil der Frage „Was bleibt?“ antwortete Werner Jostmeier, MdL a.D., indem er über seine Reise nach Saratow in die Gemeinde Rosenheim berichtete. Er zeigte Bilder und Videos von dem, was er vor Ort vorgefunden hat: Marode Gebäude und Hausfassaden, Zerfall der Infrastruktur und darin wohnende junge Menschen, Nachfahren der Deutschen aus der Wolgarepublik, die ein sehr starkes Bedürfnis nach den Kontakten mit Deutschland hätten. Sie würden die Geschichte der Deutschen aus der Wolgarepublik sehr gut kennen und sie seien stolz darauf, sich als Deutsche bezeichnen zu dürfen. Das präge sehr ihre Identität. So forderte Werner Jostmeier in seinem Wortbeitrag auf, mehr gesellschaftlichen Einsatz und mehr Engagement der Deutschen aus Deutschland in Bezug auf die Heimatverbliebenen in der Wolgaregion zu leisten. Er sei der Überzeugung, dass jeder Deutscher die Geschichte der Deutschen aus Russland und damit die der Wolgarepublik kennen solle.
Abschließend nahmen die Vertreter unterschiedlicher Verbände und Organisationen der Aussiedler an einer Talkrunde teil, mit der Frage „Was gehöre denn zur Identität der Deutschen aus Russland?“ So vertrat Pfarrer Edgar L. Born, Aussiedlerbeauftragter der evangelischen Kirche in Westfalen, die Meinung, dass die Identität der Deutschen aus Russland gestapelt sei und aus mehreren Komponenten der gemeinsamen Geschichte bestehe, beispielsweise aus der Lebensgemeinschaft, die das Alltägliche und das Kulturelle der Wolgadeutschen ausmachte, dann durch die Deportation und Arbeitsarmee verursachte Leidensgemeinschaft und hinzu komme schließlich auch die Aussiedlungsgemeinschaftsgefühl. Alexander Kühl, Vorsitzender des Vereins zur Integration von russlanddeutschen Aussiedlern e.V. (VIRA) berichtete, wie stark die tragischen Ereignisse in der Geschichte der Deutschen aus der Wolgarepublik seine Kindheit und Sozialisation als junger Erwachsener beeinträchtigt hätten, denn das Schicksal seiner Familie sei ein typisches Schicksal einer deutschen Familie aus der Wolgarepublik. Der offensichtlich jüngste Teilnehmer der Gesprächsrunde Dietmar Schulmeister, Vorsitzender der Landesgruppe NRW der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V. betonte in seinem Wortbeitrag, er sei auch mit Erzählungen seiner Großeltern über die Geschichte der Wolgadeutschen groß geworden und es sei ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Volksminderheit, nämlich zu den Wolgadeutschen, allerdings gehöre es nicht mehr so ausgeprägt zur Identität eines jungen Deutschen aus Russland, dessen Sozialisation in Deutschland stattfinde. Mit Bedauern stellte er fest, Wolgarepublik sei Vergangenheit gewesen. Nun stehe die junge Generation der Deutschen aus Russland vor anderen Aufgaben, gestärkt jedoch durch das Kenntnis der eigenen Geschichte und die der Vorfahren. Ebenfalls unterstrich er, dass man die Kontakte zu jungen Deutschen in Russland intensivieren sollte. Die Diskussionsteilnehmer Prof. Victor Dönninghaus und Heiko Hendriks kamen in diesem Zusammenhang auch zu Wort. Die Moderation übernahm Prof. Dr. Winfrid Halder, Direktor der Stiftung Gerhart- Hauptmann- Haus.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Wahrnehmen der Geschichte der Deutschen aus Russland, ihre Akzeptanz und das Auseinandersetzen der deutschen Gesellschaft damit im öffentlichen Raum und auf institutioneller Ebene zum besseren Miteinander, zum besseren Halt und hiermit zur besseren Solidarität in der deutschen Gesellschaft führt. Nun liegt es an der Landesregierung das Gesagte umzusetzen.
Der Vorstand der Landesgruppe NRW der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. bedankt sich bei den Organisatoren der Veranstaltung insbesondere bei Valeria Diewald, Geschäftsführerin des Landesbeirats für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen sowie bei den Verbänden und Vereinen der Aussiedler für ihr beispielloses Engagement für Aussiedlerinnen und Aussiedler.